Liebe Leser,
Kunst kann so vielseitig sein und doch setzen wir uns oftmals nur mit einem kleinen Teil davon wirklich auseinander. Ich nehme mich davon nicht aus und würde schon behaupten, dass ich ziemlich eingefahren bin auf Theater und Musicals. Andere Kunstformen auf der Bühne schaffen es selten auf meinen ganz persönlichen Spielplan. Als guten Vorsatz für das Jahr 2017 habe ich mir allerdings vorgenommen, meinen Horizont zu erweitern, öfter über meinen Tellerrand zu blicken und mit (persönlichen) Vorurteilen aufzuräumen. Zum Beispiel damit, dass Oper eine schwer zu verdauende Kost ist. Zwar probiere ich es immer wieder damit (zum Beispiel mit Othello in Köln). Das letzte Mal habe ich in Brasilien in einer russischen Inszenierung von Lady MacBeth gesehen und fand sie so grausam, dass ich nicht einmal darüber geschrieben habe.
Als in meinem Email Postfach vor einiger Zeit die Presseinformationen für Mai von Semmel Concerts eine Ankündigung für den Faust inszeniert durch die National China Peking Opera enthielt, weckte das sofort mein Interesse. Der Pressetext machte mich neugierig und ich informierte mich über die Kunstform der Peking Oper. Anders als die europäische Oper verbindet die Peking Oper verschiedene Elemente. Traditioneller Gesang und Schauspiel treffen auf Akrobatik und aufwendiges Masken- und Kostümbild. Ich war fasziniert von der Idee, einen deutschen Klassiker auf diese fernöstliche Interpretation treffen zu sehen.
Faust ist vermutlich eines der bekanntesten Werke aus der Feder eines deutschen Schriftstellers. Goethe beschreibt die Geschichte des Gelehrten Faust, der ein hohes Alter erreicht und durch Studium viel Wissen und Weisheit erreicht hat, aber nie wirkliches Lebensglück empfinden konnte. Als das Unglück ihn zu überwältigen droht, braut Faust einen giftigen Trunk um sein Leben zu beenden. Diese Gelegenheit ruft Mephisto, den Teufel, auf den Plan. Er bietet Faust das Geschäft an, ihn zu verjüngen und ihn wahres Glück empfinden zu lassen, sofern dieser ihm nach seinem Tod als Gefolgsmann zu Diensten ist. Dass diese Sache nicht gut gehen kann, ist offensichtlich. Obwohl die Tragödie den Titel „Faust“ trägt, finde ich, dass in Wahrheit und ganz besonders in dieser Inszenierung Gretchen die wahre Tragödie erleidet. Das junge Mädchen fällt dem verjüngten Faust zum Opfer, verliert durch dessen Zutun den Bruder, die Mutter und später auch das gemeinsame Kind. Der „Übeltäter“ wird durch Mephisto unterdessen immer weiter dazu getrieben, seine scheinbar unstillbare Lust und Gier zu befriedigen. Bis es zu spät ist…

Regisseurin Anna Peschke – eine Deutsche – fokussiert sich mit ihrem Konzept ganz auf diesen Teil des umfassenden Werkes. Sie kürzte viele der langatmigen Monologe und philosophischen Ergüsse Fausts ebenso wie den ausschweifenden Besuch in Auerbachs Keller oder die Walpurgisnacht einfach weg. Der Geschichte tut das in meinen Augen aber keinen Abbruch, im Gegenteil. Es macht die Geschehnisse klar zu verstehen und zu verfolgen. Ohnehin ist das Werk auf das wesentliche reduziert. Es stehen insgesamt nur vier Darsteller auf der Bühne, die durch ein siebenköpfiges Musikensemble unterstützt werden. Das Bühnenbild besteht aus roten Stühlen, einem Tisch und einer Schattenwand. Das Öffnen und Schließen von Türen wird pantomimisch dargestellt. Das ganze passiert vor komplett schwarzem Hintergrund, was die durch A kuan wundervoll gestalteten Kostüme eindrucksvoll zur Geltung bringt.

Eindrucksvoll ist an diesem Abend durchweg die Leistung der Darsteller. Unangefochtener Favorit für mich ist dabei Xu Mengke der uns den Mephisto gibt. Eingeführt wird er in einer Art Tanz, trägt einen wehenden Mantel und eine Kappe mit meterlangen Federn, die er beide sehr gezielt einsetzt um seine Bewegungen noch ausschweifender zu machen. Er wechselt im Laufe des Stückes von einem freundlichen Begleiter zu einem gewieften Verführer bis hin zu einem berechnenden Mörder. Und das alles überwiegend mit Veränderungen in Mimik und Körpersprache. Allerdings ist es auch er, der aus der Tragödie Faust zwischenzeitlich eine Komödie macht. Ich gestehe, unter anderem über sein „Dummkopf“ und das nach einem kleinen Lauf auf der Stelle wunderschön gesagte „Hier entelang“ herzlich gelacht habe. Zum Glück scheint das in der Peking Oper aber durchaus normal zu sein, denn der ganze Saal teilte mein Lachen.

Liu Dake brachte einen spannenden Faust auf die Bühne. Zu Beginn trägt er einen langen, weißen Bart und vergleichsweise schlichte Roben. Vergleichsweise deshalb, weil selbst das schon pompös genug war. In einer spannenden akrobatischen Einlage geht die Verwandlung in das jüngere Ich vonstatten, der Bart wird fallengelassen und zum Vorschein kommt ein glatt rasiertes Gesicht und elegante Roben zum Vorschein. Er spielt mit großen Gesten, Spannung bis in den kleinsten Finger und einer guten Portion Torheit, die ihn irgendwie auch liebenswert macht. Im Gegensatz dazu ist es wirklich beeindruckend zu sehen, wie er sich verändert als er der Konsequenzen seines Handelns gewahr wird. An dieser Stelle möchte ich direkt auch noch einmal die brillante Lichtsetzung von Tomasso Checcucci und Hu Shangfeng erwähnen, die diesen Stimmungswechsel wunderbar unterstützt haben.

Kommen wir zu Gretchen, die für mich zentrale Figur dieser Inszenierung. Sie wird in der Tragödie als einfaches, aber schönes Mädchen dargestellt. Hier wird der Kulturunterschied noch einmal so richtig deutlich. Denn dieses Gretchen mag alles sein, aber nicht einfach. Fließende Seide umschmeichelt Zhang Jiachuns perfekt gehaltenen Körper, nichts bewegt sich, das sich nicht bewegen soll. Sie schwebt geradezu über den Boden. Ihren Kopf schmückt eine lange Haarpracht und Schmuck, der vermutlich sogar die Kronjuwelen der Queen blass erscheinen lässt. Bei jeder Neigung ihres Kopfes wurde das Publikum geblendet. Sie ziert sich gebührlich, wird von ihren Gefühlen, Fausts Werben und einer verzauberten Kette dann allerdings doch überwältigt und gibt nach. Ihr Zusammenbruch als sie erkennt, was sie diese Affäre gekostet hat, ist herzerweichend. Besonders gelungen fand ich die Inszenierung des Kindsmordes, die leicht verrückte Hysterie die sie dabei empfindet und die lethargische Resignation in der Zelle. Sehr spannend.
Der vierte Darsteller, Zhao Huihui, hatte als Gretchens Bruder Valentin nur wenige Bühnenmomente, bescherte uns dafür aber auch einen besonderen Lacher. Als er Gretchen nach seiner Rückkehr aus dem Krieg mit einem fancy Handshake / Abklatschen begrüßt. Dass mit ihm allerdings nur bis zu einem gewissen Grad zu spaßen ist, stellt er eindrucksvoll unter Beweis als er Faust zum Duell fordert. Immerhin hatte dieser seine Schwester entehrt. Die Choreografie von Zhou Liya und Han Zhen wird von Zhao Huihui sehr gut ausgeführt. Die Mischung aus schnell geführten Schwerthieben und spannender Slow Motion erfordert absolute Körperkontrolle und die hat er. Es ist beinahe gemein zusehen zu müssen, wie sich Mephisto in diesen Kampf einmischt (wobei das auch wieder wirklich toll choreografiert und durch Xu Mengke ausgeführt wurde).

Nach fast zwei Stunden ohne Pause steht eins fest. Der Brückenschlag der Kulturen hat sehr gut funktioniert. Auch wenn ich zwischendurch überrascht war, das Faust durchaus auch eine Komödie sein konnte, war die Inszenierung erfrischend, spannenden und faszinierend. Der chinesische Text wurde für das deutsche Publikum als Übertitel angezeigt und fand durchaus Anlehnung an Goethes Original. Den Übertitel brauchte man allerdings nicht, um die Handlung zu verstehen. Ich bin tatsächlich relativ schnell dazu übergegangen, mich komplett auf das Geschehen auf der Bühne zu konzentrieren. Dieser Faust war experimentell und auch als solches angekündigt. In meinen Augen ist dieses Experiment sehr gelungen. Ich kann meinen Lesern nur empfehlen, der Kunstform Peking Oper einmal eine Chance zu geben, sollte sich die Gelegenheit ergeben. Ihr werdet mit Sicherheit nicht enttäuscht werden.
Bis zum nächsten Mal!
Viele Grüße,
Auri der Theatergeist
Wow das klingt echt spannend 😀
Freut mich sehr, dass du es spannend findest 🙂 Es ist auf jeden Fall ein ganz anderes Erlebnis.
Toller Beitrag. ich muss sagen, dass ich persönlich mehrheitlich in die Oper gehe.
Die Bühnenbilder in deinem Beitrag sind klasse!
Liebste Grüße,
Carmen ❤
Ah, das ist sehr spannend! Ich treffe tatsächlich eher wenig Operngänger. Für die Spielzeit 2017/2018 habe ich mir aber auch schon wieder ein paar Opern rausgesucht, die ich hoffentlich besuchen kann.
Die Bilder sind echt schön
Ich war auch schon einige Male in der Oper und Theaterstücken und mittlerweile vermisse ich es.
LG