Liebe Leser,
mehr als 13 Jahre ist es bereits her, seit ich den Vampiren in Transsilvanien einen Besuch abgestattet habe. Irgendwie waren sie danach immer zu weit weg für mich. Umso mehr habe ich mich also gefreut, als mich ein Besuch nach Berlin und somit wieder direkt in das Schloss des Grafen von Krolock führte. Es ist so unfassbar viel Zeit vergangen und auch wenn ich zwar wusste, dass es Änderungen gab, habe ich nach wie vor die alte Fassung im Schrank stehen gehabt. Die Vampire in Berlin habe ich also ganz bewusst gesehen, als wäre es das erste Mal. Ich habe versucht, nicht mit meinen vagen Erinnerungen Vergleiche zu ziehen, sondern das Stück ganz neu erlebt.
Das Theater des Westens ist charmant und trotzdem prunkvoll. Unsere Plätze lagen im Hochparkett, Reihe 4 Plätze 1 und 1 (rechts und links). Somit hatte ich den perfekten Blick auf das Bühnenbild aus der Schmiede von William Dudley. Wir saßen weit genug weg, um alles erfassen zu können, aber noch immer dicht genug am Geschehen, um die Mimik der Darsteller erfassen zu können.

Für den ersten (leider negativen) Gänsehaut-Moment sorgte Mark Seibert in meinem Lieblingsstück „Gott ist tot“. Ich habe mich sehr auf das Stück gefreut, doch Mark hat es als Tenor natürlich recht hoch anlegen müssen. Das funktionierte in den melodischen Tiefen noch recht gut, je kräftiger er jedoch wurde, desto weniger hat es in meinen Ohren funktioniert. Tatsächlich war ich mir während des gesamten ersten Aktes nicht sicher, ob ich nicht eine Zweitbesetzung oder einen Swing erwischt habe. Während Herr Seibert den gesamten ersten Akt benötigte, um zu sich selbst zu finden, war ich quasi von Minute 1 an fasziniert von Tom van der Ven, der den Alfred singt. Er feiert mit dieser Rolle sein „professionelles“ Musical-Debüt und macht seine Sache ausgesprochen gut. Nicht zuletzt, weil der Niederländische Akzent nicht mehr sonderlich ausgeprägt ist und nur noch ab und zu ein charmantes i-Tüpfelchen bildet. Sehr gefühlvoll ist seine Interpretation von „Nie Geseh’n“, während man ihm auch den unsicheren Jungen in „Du bist wirklich sehr nett“ ebenfalls vollkommen abnimmt. Herrlich zu sehen!

Quelle: Stage Entertainment
Herrlich war aber auch Victor Petersen. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser junge Blondschopf allabendlich zu einem wirren, alten Kauz wird. Die Rolle hat er allerdings vollkommen ausfüllen können. In „Wahrheit“ hat der er sich beinahe selbst überholt und dennoch klar verständlich gesprochen, ehe sein hoher Abschluss um ein Haar das Glas im Saal zerspringen ließ. Es hat sehr viel Spaß gemacht, ihm zu lauschen. Marina Maniglio hat mich als Sarah leider weniger überzeugt. Nicht unbedingt, weil sie weniger gut gesungen hat, vielmehr, weil ihre Stimme in meinen Ohren nicht mit van der Ven und noch weniger mit Mark Seibert harmoniert hat. Das war schade, denn Solo in der Sequenz der roten Stiefel war sie stark.

Quelle: Stage Entertainment
Gegen Ende des ersten Aktes hat dann auch der „Star des Abends“ einigermaßen zu sich selbst gefunden und mir mit seiner Perofmance „Vor dem Schloss“ noch ein kleines Highlight vor der Pause beschert. Das hielt leider nicht lange an, denn wie oben bereits angesprochen, haben er und Marina nicht harmoniert, was den Genuss bei „Totale Finsternis“ ein wenig gemindert hat. Eine kleine Offenbarung stellte im zweiten Akt allerdings Milan van Waardenburg dar. Mit Herbert singt er meinen heimlichen Lieblingscharakter und hat mich nicht enttäuscht. Die Sprechstimme ist relativ hoch, doch im Gesang voll und klar. Keine Ahnung, wo der Niederländer sein Stimmvoloumen und vor allem den Tonumfang hernimmt. Faszinierend!

Quelle: Stage Entertainment
Und dann, der Schock! Nach einem herzzerreißenden „Für Sarah“, bei dem vermutlich jedes junge Mädchen im Saal zerflossen ist, räumt Koukol (Paolo Bianca) das Frühstück ab und der Vorhang sänkt sich. Eine Frauenstimme tönt aus den Lautsprechern und verkündet „Wegen einer technischen Störung muss die Show kurzzeitig unterbrochen werden“. Na wunderbar. Da wartet man über zehn Jahre und dann so etwas? Ich bin eine kleine Pessimistin und so dachte ich natürlich direkt an die Vorkommen bei „Das Wunder von Bern“, bei dem erst kürzlich eine ganze Show wegen technischer Probleme nicht gespielt werden konnte. Ganze 30 Minuten saßen wir im Saal und haben auf eine Nachricht gewartet. Dann kam die Dame, zu der die Frauenstimme gehörte auf die Bühne und verkündete zerknirscht, dass die Haustechnik das Problem im Augenblick nicht lösen könne, man aber mit Technikfirmen im Kontakt stehe und sich um eine Lösung bemühe. Um die Wartezeit zu überbrücken wurden wir auf Prosecco und alkoholfreie Getränke eingeladen, doch meine Befürchtungen wuchsen. Weitere 15 Minuten später dann endlich der Gong. Alle wieder rein in den Saal. Die Brücken, die man brauche um die Sequenz „In der Gruft“ zu spielen, würden nicht funktionieren und es gäbe nun eine gute und eine schlechte Nachricht. Die Gute: Man würde die Show auf jeden Fall zu Ende spielen. Die Schlechte: die bekannte Szene in der Gruft müsse entfallen. Victor Petersen und Tom van der Ven erläuterten kurz, was in besagter Szene geschehen sollte und Petersen schloss sehr passend mit den Worten „Nun, das heute… also, das war… Das war eine Blamage!“. Die Lacher waren auf seiner Seite und mit „Bücher“ funktionierte auch die Technik wieder einwandfrei.
Auch wenn die Vampire nur für wenige Monate in Berlin bleiben, ehe sie wie ein abgetragenes Kleidungsstück an die kleine Schwester München weitergereicht werden, empfand ich es als durchaus sehenswert. Die Darsteller haben mit viel liebe zu ihren Rollen gesungen und auch gespielt. Mit der Besetzung eines Tenors in der Rolle des Grafen hat sich die Stage allerdings keinen Gefallen getan. Mich würde interessieren ob der Bariton Jan Ammann es besser macht. Wer weiß, vielleicht gönne ich mir einen weiteren Besuch im Juli.
Viele Grüße,
Auri der Theatergeist

Auf dem Foto: Mark Seibert als Graf von Krolock und Veronica Appeddu als Sarah.
Quelle: Stage Entertainment